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Kategorie: Ohr

Menière: Neues aus der Forschung

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von H.P. Zenner

von H.P. Zenner

Neues aus der Forschung zum Morbus Menière (MM)

Die Funktion des InnenOhrs

MM ist eine Erkrankung des Ohrs, daher muss man zunächst verstehen, wie das Ohr funktioniert. Das Ohr besteht aus dem äußeren Ohr, dem Gehörgang, dem MittelOhrmit den Gehörknöchelchen und dem InnenOhr. MM ist eine Erkrankung desInnenOhrs. Das InnenOhr ist das eigentliche Hörorgan, dort befinden sich die Hörsinneszellen.Diese Sinneszellen sind schmal und lang und haben oben kleine Härchen, die Sinneshärchen.Wenn diese Sinneshärchen umgebogen werden, dann hören wir. Diesen Vorgang nenntman auch Codierung. Der Schall, den wir hören, wird umgewandelt, sodass das Gehirnetwas damit anfangen kann. Das geschieht durch die Sinneszellen mit den Härchenobendrauf, die man auch Haarzellen nennt. Wenn wir schlechter hören, aber auch,wenn wir Schwindel haben, hat das häufig etwas mit den Haarzellen zu tun.

Jede Haarzelle befindetsich in zwei verschiedenen Räumen, die mit unterschiedlichen Flüssigkeiten gefüllt sind. DieFlüssigkeit im unteren Raum unterscheidet sich nichtwesentlich von der Flüssigkeit in den anderen Körperorganen. Die Flüssigkeit indem oberen Raum ist völlig anders: hier ist besonders viel Kalium drin. DiesesKalium spielt für die Entstehung von MM eine besondere Rolle. Es ist positiv geladen.Man spricht vom Kalium-Ion. 

Wenn wir hören und die Sinneshärchen werdenumgebogen, dann kann dieses positiv geladene Kalium-Ion in das Innere einerHaarzelle eindringen. Die Haarzelle wird innen dadurch elektrisch positiver.Anschließend, nach sehr kurzer Zeit, tritt Kalium seitlich wieder aus unddie Zelle wird wieder weniger positiv als zuvor. Diese kurze Zeit deselektrischen Positiv-Seins ist nichts anderes als der elektrische Code, der alsSignal ans Hirn geht.

Der endolymphatische Hydrops

Vor ca. 40Jahren hat ein amerikanischer Forscher Verstorbene untersucht, die zu Lebzeiten MM hatten. Dabei hat er gesehen, dass bei ihnen der Raum, in dem das viele Kalium drin ist, viel größer war als normal. Die Forschung schloss daraus: Der vergrößerte Raum (der den Namen Endolymphhydrops trägt) ist die Ursache für MM. Heute kann man diesen Raum in bildgebenden Verfahren auch bei lebenden Menschen sichtbar machen, das war damals noch nicht möglich. Die Flüssigkeit in dem Raum heißt Endolymphe. Wenn zu viel davon vorhanden ist, spricht man von Endolymphhydrops (endolymphatischer Hydrops).

„Hydrops“ bedeutet immer eine Schwellung, wenn also zu viel von etwas vorhanden ist. Dieser Hydrops bewirkt, dass man tiefe Tonlagenschlechter hört als hohe Frequenzen. 

Die Flüssigkeit Endolymphe wird an einem Ende desOhres produziert und am anderen Ende des Ohres normalerweise in das Hirnwasser abtransportiert.Da es gibt insgesamt viel Hirnwasser, ist es nicht problematisch, wenn dort etwas mehr Kalium hineinkommt. Der Hydrops – wenn sich die Flüssigkeit staut und nicht abfließen kann – hat nun nichts mit der Produktion dieser Flüssigkeit zu tun,sondern mit dem mangelndem Abtransport.

Die Saccotomie

Früher dachte man sich das ganz einfach: die Flüssigkeit fließt über eine Art von kleinen Löchern in das Gehirnwasser ab, und wenn es nicht abfließt, dann ist etwas verstopft. Man muss alsoin den „Sack“ – so heißt der Teil, über den die Flüssigkeit abfließt – hineinschneiden und dann kann sie abfließen. So erfand man eine OP, die Saccotomie (Saccus heißtSack). Ich habe diese OPs über Jahrzehnte selbst durchgeführt und erlebt, dass es vielen Patienten danach besser ging. Als einzelner Arzt denkt man dann, diese OP ist wirksam, aber als Wissenschaftler weiß man, dass dazu mehr Wissen notwendig ist. Dazu machte man dann wissenschaftliche Studien. Eine interessanteStudie zur Saccotomie wurde in Kopenhagen, Dänemark, durchgeführt. Bei dieser Studie hat man bei Patienten eine Saccotomie durchgeführt, andere hat man scheinbar operiert. Aber man hat den Patienten nicht gesagt, wer echt operiert und wer nur scheinbar behandelt wurde. Das Ergebnis der Studie war, dass die Saccotomie unwirksam erschien (bzw. genauso wirksam, wie die Scheinoperation).

 Dieses Ergebniswar anGesichts der  Erfahrung, dass sich viele Patienten nach einer Saccotomie besser fühlten, erstaunlich. Es wurden dann  Meta-Analysen durchgeführt, die darauf hinwiesen, dass die Saccotomie wirksam sein kann. Statistiker haben schließlich die Zahlen der dänischen Publikation nachgerechnet und herausgefunden, dass in der dänischen Studie ein mathematischer Fehler gemachtwurde, die Saccotomie also doch wirksam war. Von Wissenschaft kann man ja erstsprechen, wenn nicht nur ein Einzelner zu einem Ergebnis kommt, sondern wennmehrere Studien zu demselben Ergebnis kommen, unabhängig von der Person und demOrt. 

Der Glyceroltest

Nachdem jetzt die Wirksamkeit der Saccotomie anerkannt werden konnte, fühlte man sich auch in der Vorstellung bestätigt, dass es solche Löcher gibt, die verstopft sind. Doch es verhält sich anders. Wie wir heute wissen, wird die Flüssigkeit mittels Molekülen (Eiweiße) abtransportiert, die Aquaporine (übersetzt: Wasseröffnungen) heißen. Diese Aquaporine gibt es auch in großer Zahl in der Niere. 

Dann hat man überlegt: Was kann man mit diesen Molekülen machen? Kann man sie nicht anregen, vermehrt Flüssigkeitaus dem InnenOhr herauszutransportieren? Diese Methode wird in der Tat für diagnostische Zwecke angewendet: Es gibt einen Test mit Glycerin, das zu einer sog. Osmose führt. Von Osmose spricht man z.B., wenn ein Stück Zucker, das kurz an Wassergehalten wird, sich binnen kurzem mit Wasser vollsaugt. Bei dem Test mit Glycerin funktionierte das so: Gibt man dem Patienten Glycerin zu trinken, das  auch ins Gehirn geht, zieht das Hirnwasser durch die Aquaporine Flüssigkeit aus dem Lymphraum heraus. Wenn das funktioniert, können Patienten wieder besser hören. Das ist bei rund 50 Prozent der Patienten der Fall, die dann innerhalb von drei, vier oder fünf Stunden wieder besser hören. In der Folge dieses Tests wurde überlegt, mit welchem Medikament man diesen Vorgang unterstützen kann.

Diuretika gegen den Hydrops

Dazu dient ein sog. Osmo-Diuretikum (osmotisches Diuretikum). Es wirkt genauso wie Glycerin (allerdings auch nur bei den 50 Prozent von Patienten, bei denen auch Glycerin hilft). Man kann es dem Patienten acht Tage lang geben, was dazu führt, dass vom Hirnwasser ausgehend vermehrt Lymphflüssigkeit aus dem InnenOhr heraustransportiert wird.

Hydrops ist nicht allein die Ursache von MM

Forscher haben einen Hydrops bei Tieren künstlich erzeugt und dadurchfestgestellt, dass ein Hydrops nicht MM-Anfälle verursacht. Andere Wissenschaftler haben dasselbe Ergebnis durch ein anderes Experiment erhalten: sie haben Endolymph-Flüssigkeit mit viel Kalium in den unteren Raum mit wenig Kalium eingespritzt und  festgestellt, dass dadurch Schwindel und Hörverlust entstehen.

Mit einem Endolymphhydrops alleine kann man MM also nicht erklären, man kann durch die wissenschaftlichenVersuche jedoch sagen: Wenn eine Schwellung auftritt, gelangt kaliumhaltige Flüssigkeit von dem kaliumreichen Raum in den anderen, wo sonst wenig Kalium ist. 

Wie kommt das? Ist es so, dass der Raum durch die Schwellung platzt, wie viele Ärzte sagen? Wenn es so wäre, wäre das Kalium lange Zeit im falschen Raum und die Sinneszellen entsprechend lange dem Kalium ausgesetzt. Das hieße, sie würden absterben, das Ohr würde dauerhaft taub. 

Aber beim MM ist es ja gerade anders: bei einem Anfall ist das Hörvermögen nur vorübergehend für einige Stunden beeinträchtigt, nicht dauerhaft. Ein Platzen passt also nicht. 

Durch viele Versuche hat man festgestellt: eine nur vorübergehende Schädigung von Sinneszellen entsteht nur, wenn die Zellen nicht länger als ein bis zwei Minuten in der kaliumhaltigenFlüssigkeit sind. Die Vorstellung vom Platzen ist damit nicht vereinbar.

Eine etwas andere Vorstellung passt aber: Wenn der kaliumreiche Raum durch die Schwellung seine Form verändert und seine Hülle in die Länge gezogen wird, wird er undicht (genauer: die sog. tight junctions), und zwar ohne zu platzen. Dadurch können einige Kaliumionen in den falschen Raum gelangen. So kommt es zum Menière‘schen Anfall. 

Fazit

Der Endolymphhydrops ist beim MM zwar notwendig – so sagen die Wissenschaftler –, aber er erklärt die Erkrankung nicht hinreichend, es muss noch etwas dazukommen:

Erst wenn Kaliumionen in den kaliumarmen Raum an den unteren Teil der Sinneszellen gelangen, kommt es zu einem MM-Anfall. Dadurch werden nämlich die Sinneszellen längere Zeit als im Normalfall postiv geladen und es entstehen Hörverlust, Tinnitus und Schwindel im Anfall.