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Kategorie: 4. GLOSSAR medizinischer Fachbegriffe

Personalisierte Medizin bei Krebs

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von H.P. Zenner zusammen mit M. Röcken

von H.P. Zenner zusammen mit M. Röcken

"One size does not fit all" Gleiches gilt für Therapieverfahren, insbesondere für Arzneimittel. Sie helfen keineswegs immer, sondern z.T. sogar nur selten. Selbst bei Krebs-Arzneimitteln ("Chemotherapie") beträgt die Erfolgsquote nicht selten nur 75%. Es werden also 25% der Krebskranken mit sehr eingreifenden Arzneimitteln einschließlich ihrer Nebenwirkungen behandelt, ohne dass diese eine Wirksamkeit entfalten.

An dieser Stelle greift die molekulare, individualisierte Medizin ein, indem sie versucht, prädiktive Tests für Biomarker zur Wirk­samkeit und / oder Toxizität zur Verfügung zu stellen. Grundlage der Prädiktion sind die modernen „Omex“-Technologien, Sie umfassen vor allem Genomik und Epigenomik, Transskriptomik, Proteomik, Metabolomik, Mikrobiomik, Bildgebung und Funktionsanalysen. Das Ergebnis ist relmäßig eine Flut von Daten - Big Data. Regelmäßig ist deshalb eine umfangreiche biomathematische Analyse aufgrund von Big Data erforderlich. Der ansonsten übliche Blick des Arztes auf Biomarkerergebnisse auf einem oder mehreren Datenblättern ist nicht mehr ausreichend: nur in Kooperation mit dem Biomathematiker kann der Arzt seine Prädiktion auf der Basis der erzeugten Daten durchführen.

 Nachfolgend einige Beispiele: 

Hirntumore. Im Rahmen des Cancer-Genom-Atlas-Projektes (Fueyo et al., 2011, Weller et al., 2010 a, b) konnte die Methylierung des Genpromoters der O6-methylguanine-DNA-methyltransferase (MDM) als molekulare Indikationsgrundlage für die Anwendung alkylierender Chemotherapie beim Gliom identifiziert werden.

Bei Kopf-Hals-Tumoren wird die Bestimmung von HPV 16/18 für die Prognose und damit für die chirurgische Therapieentscheidung beim Oropharynx- und Larynxcarcinom eingesetzt (Ragin und Taioli, 2007). Die Anwendung proteomischer Methoden ist in den Anfängen begriffen (Fung und Grandis, 2010, Yarbrough et al., 2006). Darüber hinaus wird erwartet, dass der EGFR (epidermal growth factor receptor) als molekulare Zielstruktur dann genutzt werden kann, wenn beispielsweise K-ras als unmutiertes Ziel sowie HER2/EGFR-Mutationen (die z.B. zur EGFR-Trunkierung führen) für die Indikation geeigneter monoklonaler Antikörper genutzt werden können.

 

Hauttumore. Im Bereich der Onko-Dermatologie wurde für vier der wichtigsten Tumorentitäten eine molekular Personalisierte Medizin bereits realisiert, bei Melanomen, Basalzellkarzinomen, spinalzellulären Karzinomen und T-Zell-Lymphomen der Haut. Menschen mit bestimmten MC1-R-Genotypen besitzen ein besonders hohes Risiko, BRAF-mutierte Melanome zu entwickeln (Landi et al., 2006) Melanome des Auges beruhen dagegen auf Mutationen des GNA11-Gens (Van Raamsdonk et al., 2009). Dies hat direkte therapeutische Konsequenzen. Weiter sind für die Therapieentscheidung bei metastasierten Melanomen die Analyse von C-Kit-Rezeptor Mutationen, der BRAF-600VE-Mutation und von NRAS-Mutationen für gezielte molekulare Therapien unabdingbar. Exklusiv bei K642E-KIT-mutierten metastasierten Schleimhautmelanomen wurden Therapien mit Imatinib und verwandten ThyrosinkiNaseinhibitoren indiziert (Lutzky et al., 2008), bei BRAF-V600E-mutierten Melanomen Behandlungen mit Vemurafenib (Chapman et al., 2011). RAS-Mutationen können von Bedeutung sein, um das individuelle Risiko für das Auftreten von kutanen spinozellulären Karzinomen unter dem BRAF-Inhibitor Vemurafenib vorauszusagen (Su et al., 2012).

Im Bereich der spinozellulären Karzinome ist die Expression von EGF-Rezeptoren und ihrer Mutationen wichtig, um das Ansprechen von EGF-Rezeptorantagonisten vorherzusagen (Mauerer et al., 2011, Sabattini et al. 2010).

Bei Basalzellkarzinomen sind Mutationen im Bereich des Hedgehog (PCTH1) und Smoothened (SMO) Pathway bei der Frage einer therapeutischen Hedgehog-Inhibion z.B. mittels small Molecules mitentscheidend (Weiss et al., 2012, Kudchadkar et al., 2012, Raju und Pham 2012, Von Hoff et al., 2009). Interessanterweise haben sehr viele sporadische Basalzellkarzinome erworbene Mutationen (Stacey et al., 2011).

Kutane T-Zell-Lymphome werden spezifisch durch die Expression des CLA-Moleküls charakterisiert. Spezifische Modulatoren, die die Migration CLA-positiver Lymphome beeinflussen, haben sich in der personalisierten Therapie schwerer kutaner T-Zell-Lymphome bewährt (Alemtuzumab; Clark et al., 2012).

Tumore der Frau. In der Gynäkologie wird seit mehreren Jahren z.B. die Bestimmung von BRCA1/2 für das genetischen Councelling bei der Suszeptibilität hereditärer Krebserkrankungen verwendet, was sowohl Eingang in der Vorsorge als auch in der Therapie der betroffenen Patientinnen gefunden hat (Horsman et al., 2007, Schmutzler et al., 2003, Karlan et al., 2007). Molekular stellten sich Mammacarcinome als distinkte molekulare Subtypen heraus (Harbeck et al., 2010), so dass von einer heterogenen Erkrankung gesprochen werden kann. Ebenso haben insbesondere zielgerichtete Therapeutika gegen HER2 und ER eine deutliche Verbesserung des Überlebens bei den Patientinnen mit Detektion der Zielstruktur gezeigt (Davies et al., 2011, Gianni et al., 2011). In den letzten Jahren kommen zunehmend molekulare Marker zum Einsatz (Oncotype DX®, MammaPrint, uPA/PAI-1), die die heterogenen molekularen Subtypen des Mammakarzinoms identifizieren und insbesondere bei primären Mammakarzion zur Abschätzung der Agressivität der Erkrankung und bei der Entscheidung bezüglich einer adjuvanten Chemotherapie herangezogen werden können (Goldhirsch et al., 2011). Für die Anwendung von Tamoxifen ergab die diagnostische Nutzung der CYP2D6-Variante ein Anstieg der Odds ratio (de Souza und Olopade 2011, O´Donnell und Ratein 2012). Eine Verbesserung der Prognose durch den Einsatz von CYP2D6 als Marker für das Ansprechen von Tamoxifen hat sich bisher allerdings nicht bestätigt.

 

Urologie. Beim Blasencarcinom stoßen Chirurgie und Chemotherapie an Grenzen. Auf der Grundlage der Reverse-Phase-Protein-Microarray-Technik wurden erste proteomische Untersuchungen durchgeführt (Ehdaie et al., 2009). Es konnte gezeigt werden, dass den nicht muskel-invasiven Tumoren eine differente Pathogenese im Vergleich zu den muskel-invasiven Tumoren zugrunde liegt und diese durch spezifische molekulare Veränderungen wie Mutationen in FGFR3 sowie die Expression von p53, RB und MIB-1 differenziert werden können (Van Rhijn et al, 2010). Erste prognostische Marker zur Vorhersage der Metastasierung auf Grund eines 20-Genexpressionmodells (Smith et al., 2011) oder prädiktive Marker in Korrelation zum Ansprechen auf eine Chemotherapie (Hoffmann et al, 2010) erscheinen viel versprechend. Eine genombasierte Therapie wird in einigen Jahren erwartet (Shah et al., 2011). Vergleichbare Erwartungen publizierten (Fredolini et al., 2010) für das häufigste Carcinom des Mannes, das Prostatacarcinom. Es werden neue Marker wie PCA3 und TMPRSS2 empfohlen und geprüft (Salagierski et al., 2012). Zur Verbesserung der Risikobewertung am Biopsiematerial werden derzeit umfassende genetische und epigenetische (miRNA-) Analysen durchgeführt. Laufende Studien prüfen neue molekulare Therapieansätze für hormontherapie-resistente Tumore wie MDV3100 (Gauthier et al., 2012). Erwartet werden klinische Anwendungen der Reverse-Phase-Protein-Microarray-Technik, genomische Untersuchungen an Geweben, die Nutzung der Massenspektrometrie sowie die Anwendung von Nanotraps für die Untersuchung nanotech-basierter Biomarker in Flüssigkeiten (Donovan et al., 2011). Auch das Nierencarcinom präsentiert ein Spektrum diverser epithelialer Tumoren, wobei die Therapie mit ThyrosinkiNaseinhibitoren in der Zukunft durch die Anwendung von Genomics und Proteomics zielgerichteter eingesetzt werden soll (Longo, 2012).

 

Genetische, epigenetische sowie Expressionsanalysen haben gezeigt, dass die Nierentumore in Subentitäten mit einer spezifischen Tumorbiologie und unterschiedlicher Prognose differenziert werden müssen. Prognostische Marker zur Einschätzung des individuellen Metastasierungsrisikos seien in naher Zukunft zu erwarten (Linehan et al., 2010).